Marie SchlossIn Emmendingen, wo einst unser Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe zu Gast war, Jacob Michael Reinhold Lenz einige Jahre seines dramatischen Lebens verbrachte, wo Harriet Straub geboren wurde und Alfred Döblin starb, sollte zwei weiterer bemerkenswerter Menschen gedacht werden, deren literarisches Schaffen postum zu würdigen ist.

Es sind dies Marie Schloss (1872 - 1952) und der Windenreuter Johann Jakob Huber (1859 - 1929). Beide können weder in ihren Werken noch Lebenswegen miteinander verglichen werden, doch ist der Zeitraum ihres Wirkens identisch und der enge Bezug zu Emmendingen.

I. Marie Schloss

Ihr Leben, durchzogen von Höhen und Tiefen, Schicksalsschläge blieben ihr nicht erspart, begann in ihrem Geburtsort Freiburg/Breisgau bei Vater Julius Haas, der dort in der Bertholdstrasse eine Weinhandlung hatte, und der Mutter Rosa, geb. Marx.

Eine Auskunft des Einwohneramtes Königsfeld im Schwarzwald lautet: "Schloss, Marie; geb. 31.01.1872 in Freiburg/ Brsg.; Beruf: Schriftstellerin; Konfession: evangelisch; wohnhaft in Königsfeld vom 31.07.1912 bis 25.03.1931, verzogen nach Gnadau bei Magdeburg, Wohnsitz vor Königsfeld war Karlsruhe".

Ihre Lebensinhalte waren insbesondere Soziales und die Kunst. Vor dem 1. Weltkrieg war sie Kunstberichterstatterin bei der "Strassburger Post". Neben ihren vielseitigen literarischen Werken, wie Novellen usw., verfasste sie Schriften mit stark geprägtem sozialem Charakter, z. B. "Das Hütekinderwesen im badischen Schwarzwald" oder den Roman "Prinzessin".

Seit der Heirat mit dem Zigarrenfabrikanten Adolf Schloss lebte sie in Emmendingen (Hebelstraße 9). Der 10 Jahre ältere Ehemann, Mitinhaber und Geschäftsführer der "Emmendinger Cigarrenfabrik Max Bloch & Co." verstarb bereits 45jährig am 2.4.1907. Nach diesem schweren Schlag für Marie Schloss und ihre beiden Söhne Erwin und Fritz nahmen sie bald ihren Wohnsitz in Karlsruhe.

Während Sohn Erwin Theologie studierte und evangelischer Pfarrer der Brüdergemeinde wurde, hören wir über seinen Bruder Fritz, dass er später u. a. im politischen Leben Badens eine angesehene Rolle spielte. Übrigens war Ludwig Haas, der Bruder von Marie Schloss, Abgeordneter des badischen Landtages in Karlsruhe.

1912 zog Marie Schloss nach Königsfeld im Schwarzwald, wo sie sich bald in die Brüdergemeinde als Mitglied aufnehmen ließ. 1931 verließ sie Königsfeld, um ihren Wohnsitz in Gnadau bei Magdeburg zu nehmen bei ihrem Sohn Erwin, der dort Pfarrer der Brüdergemeinde war.

Da Marie Schloss und ihre Söhne nach den nationalsozialistischen Rassegesetzen "Vollblutjuden" waren, liess sich der Junge Pfarrer 1935, also kurz nach Beginn des "Dritten Reiches", nach Bern versetzen. Marie Schloss ging mit in die Schweiz und lebte dort mit der Familie ihres Sohnes, der jedoch durch einen tragischen Autounfall allzu früh verstarb. Das ausgefüllte Leben der Schriftstellerin, immer wieder unterbrochen durch herbe Verluste, ging nach über 80 Jahren am 19. Oktober 1952 in Bern zu Ende.

 Der Rezensent der Breisgauer Nachrichten vom 26.11.1904 fand nach Erscheinen des Bändchens Worte, die heute noch Bestand haben dürften: 

"Altmodische Geschichten" betitelt sich ein von Marie Schloss hier in der Druck- und Verlagsgesellschaft vorm. Dölter in Emmendingen erschienener Kranz von Novellen aus Emmendingens Vergangenheit. Pflegen solche auf die Lokalgeschichte einer Kleinstadt abgetönten Erinnerungsbilder zumeist nur für deren Bewohner besondere Anziehungskraft zu gewinnen, so gehen doch die vorliegenden weit über die Sphäre enger Kirchturmsinteressen hinaus, da die Schilderungen aus einer Epoche geschöpft sind, welche auch dem einem örtlichen Horizonte ferner Stehenden eine freundliche Teilnahme erwecken.

Die Verfasserin führt uns in ihren Geschichten in jene für Emmendingen nicht minder wie für die deutsche Literatur so bedeutsamen Tage, in welchen ein Johann Georg Schlosser, des Markgrafen Karl Friedrich streitbarer Obervogt das Regiment im Hochberger Ländlein geführt hat, wo Schlossers Gattin Cornelia, die Schwester Goethes, die "geistvollste Frau ihrer Zeit" das Emmendinger Amtshaus zu einem kleinen Musensitz zu gestalten bestrebt war, und Goethe selbst in dem freundlichen Elzstädtchen mehrfachen Aufenthalt genommen hat...
Personen und Handlungen sind in schlichtem und doch frischem wahren Kolorit meisterhaft geschildert und tragen das für jeden Leser so anheimelnde Gepräge jener gemütvoll bescheidenen Zeit... Dem Büchlein gereichen mehrfach die flotten hübschen Zeichnungen aus der Hand des Emmendinger Medizinalrats von Langsdorff zur besonderen Zierde. Die "Altmodischen Geschichten" verdienen auch über Emmendingen hinaus einen zahlreichen Leserkreis, welcher das kleine Werk nicht unbefriedigt aus der Hand legen wird...
Ein noch jugendliches, aber doch schon von Leidenschaften durchfurchtes Gesicht war es, das zu ihm aufschaute. Die kindlich blickenden Augen standen in schreiendem Gegensatze zu den Zeichen, welche der ständige jähe Wechsel von Hass und Liebe, Begeisterung und Erkaltem demselben aufgedrückt.
Schüchtern und kindlich klang auch die Stimme. “Gut geht's - sehr gut! Alle sind freundlich zu mir, der Meister, die Frau und das Linchen, und auch die Tiere haben mich gern; da seht, Herr! ... Und manchmal, ei da träume ich über der Arbeit so wunderfeine Sachen! ... Ja denkt nur, da meine ich, ich sei einmal ein grosser Dichter gewesen, und dann fallen mir auch Lieder ein, die ich damals geschrieben habe, aber, wenn ich sie festhalten will, sind sie wieder fortgeflogen, und waren doch so schön! Ein Wort nur weiss ich davon und mit dem kann ich nichts anfangen: Nachtgedanken! Ist doch alles so hell!”

(aus “Der Schusterlehrling”, In “Altmodische Geschichten” von Marie Schloss)

Werke von Marie Schloss (soweit bekannt)

Gedichtbändchen "Im Vorübergehen", Privatdruck ca. 1899;
"Altmodische Geschichten", Emmendingen 1904/1905 - Wilhelm Raabe gewidmet;
"In der Sommerfrische, oder ein kleiner Irrtum” Lustspiel 1905;
"Prinzessin - sozialer Roman”, Konstanz 1911 - mit 285 Seiten das umfangreichste Werk;
"Das Hütekinderwesen im badischen Schwarzwald", München
"Italien und wir! - eine aktuelle Studie”, 1915;
"Friedensgedanken in Kriegszeiten, Ausblicke und Aufgabe der Frauen", Heidelberg 1915;
"Der Nachkömmling vom Kellerhof", Karlsruhe 1917;
"Vom Leben und Sterben, von Alten und Jungen, der Kleinen Bilder", Du Mont-Schauberg, Strassburg, 1914 und 1917;
"Hinter der Kirche und andere Geschichten", Karlsruhe 1921;
"Der Herr Medikus und andere Geschichten", Karlsruhe 1921 - Hans Thoma gewidmet - (in diese 2. Auflage wurden die "Altmodischen Geschichten" integriert, jedoch ohne die in der Auflage von 1905 enthaltenen Zeichnungen und Vignetten mit Motiven aus demalten Emmendingen).

Quellen:

Breisgauer Nachrichten 1904-101:
Deutsches Literaturarchiv Marbach a. N.;
Elisabeth Friedrichs in Lexikon "Die deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts";
Gemeindeverwaltung Königsfeld/Schwarzald;
Standesamt Bern/Schweiz;
G. Ebell in "Jahrbuch der Raabe-Gesellschaft 1985";
"Literarische Silhouetten" Voss/Volger 1909;
W. Kosch "Deutsches Literatur-Lexikon", Bern 1993;
Schriftliche Auskünfte von Elisabeth Christoph, Königsfeld (ehem. Freundin).

II. Johann Jakob Huber

Johann Jakob HuberDass Schuster auch Poeten sein können, das hat es schon des öfteren gegeben, wie sogar die Weltliteratur beweist (z. B. der Nürnberger Hans Sachs). Windenreute bei Emmendingen, schade, wahrscheinlich hatte Johann Jakob Huber einfach die falsche Heimatgemeinde erwischt; Heidelberg, Nürnberg oder Bayreuth wären für ihn wohl ideal gewesen.

Unser Dichter entstammte einer eingesessenen Windenreuter Familie, wurde am 15.07.1859 in Windenreute geboren und verstarb dort am 28.03.1929. Er war verheiratet mit der Windenreuterin Christine geb. Schöchlin. Der kraftvolle, sehr beeindruckende Mann mit seinem schwarzen Rauschebart war von Beruf Schuhmacher, Landwirt und - Poet. Von 1906 bis 1920 übte er in seiner Heimatgemeinde zusätzlich das Amt des Gemeinderechners aus.

Huber war weit über die Gemeindegrenze hinaus bekannt als Naturliebhaber, Vogelkundler und Züchter seltener Vogelarten.

Aus seiner Feder stammt gar manches Gedicht zu naturbezogenen Themen, die teilweise in verschiedenen Zeitungen erschienen sind. Leider sind diese verschollen. Wird sie wohl einer der unergründlichen Zufälle eines Tages wieder ans Licht bringen?

Buchtitel

Das einzige, uns bekannte und als Buch erschienene Werk "Hermann der Cherusker" ist als etwa 280-seitiges Buch von der Druck- und Verlagsgesellschaft Emmendingen im Jahre 1909 herausgegeben worden; Gestaltung und Druck waren sehr ansprechend. Nur wenige Exemplare sind heute noch vorhanden. Es geht hier um ein "Dramatisches Schauspiel in sechs Aufzügen", einem Vorspiel und einem Prolog und erschien "im Selbstverlag von J. Huber", was bedeutet, die ganzen Kosten des Buches hatte der Verfasser selbst zu tragen und dies war vermutlich ein kleines Vermögen.

Die Sache entbehrt nicht einer gewissen Tragik. Nach meinen Informationen erfuhr das romantische Helden-Epos nie eine Aufführung. Erstens fehlten im abgelegenen Windenreute die erforderlichen Beziehungen zu den einschlägigen Künstlerkreisen, zweitens dürfte für das Erscheinen eines aufwendigen Dramas nach Art eines Emanuel Geibel, Ludwig Uhland oder Friedrich Rückert die Zeit schon seit Jahren abgelaufen gewesen sein.

Vielleicht fehlte Huber einfach die "Gnade der früheren Geburt". Schade, wir hätten gern einen berühmten Dichter in Windenreute gehabt!

Was ich zu sagen weiss, es ist des Neu und Alten,
Dem auf tiefstem Grund ein jedes Herz sich neigt,
In dessen Schwunge sich die Welten halten, um dessen Brennpunkt die Sonne Nova kreist,
Und in den Bann des Zodikas gezogen,
Der Energien Kräfte flammend wogen.

(aus "Hermann der Cherusker" von Johann Jakob Huber)

Inhaltserklärung des Verfassers J. J. Huber: “Die Geschichte des Schauspieles, welches in seinen Hauptteilen auf historischer Begebenheit beruht, habe ich aus Scheers Bildungsfreund, aus Dittmars Geschichte des deutschen Volkes und aus Hans Mehrbachs Armin gezogen. Umfasst die Zeit von 4 bis 9 nach Chr. Geb.: Hermann kommt von Rom zurück, wo er auf der damaligen Kriegsschule römische Kriegskunst erlernte.

Germanien wurde während seiner Abwesenheit sehr von dem Despoten Quinctilius Varus gedrückt. Nachdem Hermann wieder in seine Heimat zurückkam und das nationale Unglück übersah, auch von seinem Oheim zu Rate gezogen, fasste er den Plan, die Römerherrschaft zu stürzen und ein freies Vaterland, seiner Liebe Glück, welches er mit Thusnelda, der schönen und liebreizenden Tochter Segests begründen wollte, zu schaffen. Leider war ihm Segest, der Vater Thusneldas, bitterster Feind, welcher nicht dulden wollte, dass seine Tochter Hermann zum Ehegatten nehmen soll. Er verlobte sie deshalb wider ihren Willen an einen römischen Edlen. Nachdem Hermann dies erfuhr, war es gerade am Abend, da Tags zuvor durch ihn der Aufstand eines entfernt wohnenden Volkes entfacht wurde, um die Römerschaft abzuschütteln.

Hermann geriet hier in eine sehr üble Situation, denn er war mit andern germanischen Fürsten von Varus zu einem nächtlichen Mahle geladen, welches der römische Statthalter ihnen gab, um sie zum bevorstehenden Kriegszug zu gewinnen.

Hermann durfte deshalb, um keinen Verdacht, dass er der Urheber des Aufstandes sei, auf sich zu lenken, bei diesem Mahle nicht fehlen. Doch aber sollte er seine innigstgeliebte Thusnelda aus ihrer verzweifelten Lage retten. Er beauftragte deshalb seinen Freund, das Möglichste zu tun, um sie aus dem väterlichen Hause zu entführen und auf seine Burg zu bringen.

Hermann zog nun in den schweren Freiheitskampf,; nicht wissend, was aus Thusnelda geworden, oder wie es um sie stehe, half er die grosse Schlacht im Teutoburger Walde schlagen. Er, die Seele im Kampfe, trug die blutende Wunde in seinem Herzen um seine Liebe. Aber als in den deutschen Gauen die Kunde von seinem Siege erscholl, trieb er Thusnelda, welche durch den Freund Hermanns glücklich gerettet, ihren Geliebten noch auf dem Schlachtfelde zu begrüssen. Sie begab sich zu diesem Vorhaben in den Schutz zweier Druiden, die in ihrer damaligen Stellung und Zeit unantastbare Persönlichkeiten waren. Thusnelda traf mit Hermann zusammen, als er vor Varus Leiche stand und endgültig der volle Sieg und die Freiheit gesichert war.” 

 

Herbert Burkhardt

Erstmals veröffentlich in der Emmendinger Chronik, Ausgabe 1998