(lebte und wirkte von 1893 bis 1907 in Emmendingen)
Lebensdaten
Ihr Leben, durchzogen von Höhen und Tiefen, Schicksalsschläge blieben ihr nicht erspart, begann in ihrem Geburtsort Freiburg im Breisgau bei Vater Julius Haas, der dort in der Bertholdstraße eine Weinhandlung hatte, und der Mutter Rosa geb. Marx.
Eine Auskunft des Einwohneramtes Königsfeld im Schwarzwald lautet: „Schloß, Marie, geb. 31. Januar 1872 in Freiburg/Brsg., Beruf: Schriftstellerin; Konfession: evangelisch; wohnhaft in Königsfeld vom 31.7.1912 bis 25.3.1931; verzogen nach Gnadau bei Magdeburg; Wohnsitz vor Königsfeld war Karlsruhe“.
Ihre ideellen Lebensinhalte waren insbesondere Schriftstellerei, Kunst und Soziales. In den 1920er Jahren betrieb sie in Königsfeld eine kleine Kunsthandlung. Vor dem Ersten Weltkrieg wirkte sie als Kunstberichterstatterin bei der „Straßburger Post"; nach dem Krieg redigierte sie zeitweise beim "Badischen Landesboten“.
Neben ihren vielseitigen literarischen Werken, wie Novellen, verfaßte sie Schriften mit stark geprägtem sozialem Charakter, z. B. „Das Hütekinderwesen im badischen Schwarzwald“ oder den Roman „Prinzessin“.
Seit der Heirat mit dem Zigarrenfabrikanten Adolf Schloß lebte sie in Emmendingen (Hebelstraße 9). Im Bruchsaler Standesamtsregister finden wir unter „Eheschließungen“ am 4. März 1893 den Eintrag: „Der Cigarrenfabrikant Adolf Schloß aus Mannheim, jetzt Emmendingen, isr., und Marie Schloß geb. Haas aus Freiburg, isr.“
Der zehn Jahre ältere Ehemann, Mitinhaber und Geschäftsführer der „Emmendinger Cigarrenfabrik Max Bloch & Co.,“ verstarb bereits 45jährig am 2.4.1907. Nach diesem schweren Schicksalsschlag nahmen Marie Schloß sowie ihre beiden Söhne Erwin und Fritz (Martin Friedrich) im gleichen Jahr ihren Wohnsitz in Karlsruhe. Dort wohnte der Bruder von Marie Schloß, Ludwig Haas (18751930), ein bekannter Rechtsanwalt und Politiker. Er war seit 1909 Stadtrat in Karlsruhe, von 1910 bis 1930 Landtagsabgeordneter in Baden, von 1912 bis 1918 Reichstagsabgeordneter des Kaiserreichs in Berlin, danach für einige Zeit Badischer Innenminister. 1919/20 war er Mitglied der Weimarer Nationalversammlung, anschließend bis seinem Lebensende (1930) erneut Reichstagsabgeordneter.
Nach dem Tod ihres Mannes (1907) war die in eine jüdische Familie geborene Marie Schloß mit ihren beiden Kindern evangelisch geworden.
Während Sohn Erwin Theologie studierte und evangelischer Pfarrer wurde, besuchte Fritz ab 1912 das Pädagogium der Brüdergemeine; danach Chemiestudium, unterbrochen durch den Einzug zum 1. Weltkrieg. Nach seiner Heirat fand er Anstellung als Chemiker und Kaufmann in einer der Bruchsaler Malzfabriken.
Da ab 1933 Marie Schloß und ihre Söhne nach den nationalsozialistischen Rassegesetzen als "unerwünschte Juden" galten, reiste Fritz 1938 in die USA aus, zunächst ohne seine Familie, die er ein Jahr später nachkommen ließ, nachdem er dort eine bezahlte Arbeitsstelle (Laborchef) nachweisen konnte. Erst nach Eintritt in den Ruhestand (1963) zog Fritz Schloß mit seiner Frau wieder nach Karlsruhe, wo er 1973 verstarb.
Bereits 1912 verließ Marie Schloß Karlsruhe und zog nach Königsfeld im Schwarzwald. Dort ließ sie sich bald als Mitglied in die Brüdergemeine aufnehmen. Ab 1931 wohnte sie für ein paar Jahre in Gnadau bei Magdeburg bei ihrem Sohn Erwin, der dort Pfarrer der Brüdergemeine war.
1935, also kurz nach Beginn des „Dritten Reiches" ließ sich Erwin nach Bern (Schweiz) versetzen, um den politischen Verfolgungen zu entgehen. Marie Schloß ging mit in die Schweiz und lebte dort in der Familie ihres Sohnes, der jedoch an den Folgen eines tragischen Verkehrsunfalles allzu früh am 7.1.1944 verstarb. Pfarrer A. Stammler aus Gnadau teilte mir im April 2008 mit: "...daß er am 11. Dezember 1943 auf einer dienstlichen Fahrt mit einem Postauto von Bern zu seelsorgerischen Gesprächen in das Internierungslager Vicosoprano im Bergell auf dem Malojapaß (Graubünden) verunglückt ist. Er wurde dann in das besagte Internierungslager gebracht, wo er am 7. Januar 1944 verstarb. Seine Frau konnte die letzten Stunden bei ihm verbringen...“. Weiter teilt Pfarrer Stammler mit: „...es gibt übrigens auch einen Lebenslauf von ihm, welcher veröffentlicht wurde in „Der Freund Israels“, hg. vom Verein der Freunde Israels in Basel, 71. Jg., 2. Heft, Basel, April 1944, S. 34-36“.
Das ausgefüllte Leben der Schriftstellerin Marie Schloß, immer wieder unterbrochen durch herbe Verluste, ging nach über 80 Jahren am 19. Oktober 1952 in Bern zu Ende.
Freunde
Neben ihrem sozialen Engagement führte Marie Schloß regen Briefwechsel mit vielen Bildenden Künstlerinnen und Künstlern, wie die Schriftstellerin Helene Christaller, der Schriftsteller Detlev von Liliencron, die schweizer Kunstmalerin Bertha Züricher, die Juristin und Frauenrechtlerin Anita Augspurg und die schwedische Schriftstellerin Eilen Key. Mit dem schwarzwälder Kunstmaler Karl Bartels und der Kunstmalerin Züricher unterhielt Marie Schloß den umfangreichsten Schriftverkehr, gefolgt von dem Maler und langjährigen Direktor der Kunsthalle Karlsruhe, Hans Thoma. Ihm widmete sie ihr Buch "Der Herr Medikus und andere Geschichten".
Herausragend war ihre Verehrung des Schriftstellers Wilhelm Raabe. Schon mit 16 Jahren rechnete sie sich zu den anhänglichsten Bewunderern von Raabes Erzählkunst. Dem Dichter widmete sie ihr Büchlein "Altmodische Geschichten".
Im Karlsruher Nachlaß von Marie Schloß finden wir den Brief:
Braunschweig, 11. November 1904
Hochgeehrte Frau Schloß!
Meinen besten Dank sage ich Ihnen für die Übersendung Ihres hübschen kleinen Buches "Altmodische Geschichten" mit der freundlichen Widmung! In den nächsten Tagen sind es fünfzig Jahre her, seit ich als 23jähriger Student mit der Chronik der Sperlingsgasse meine literarische Laufbahn betrat: ich nehme Ihre Sendung als einen Gruß zu der wenig bedeutungsvollen Tatsache einen wohlwollenden Gruß, dem sich auch Herr Medizinalrat von Langsdorff durch seine Federzeichnungen freundlichst angeschlossen hat!
Mit aufrichtigsten Wünschen für das Wohl meiner Emmendinger Freunde und Freundinnen, Gönner und Gönnerinnen.
Ihr ergebener Wilhelm Raabe
Quellen
- Deutsches Literaturarchiv Marbach a. N.
- Stadtarchiv Karlsruhe
- "Breisgauer Nachrichten" 1904-1907
- Elisabeth Friedrichs im Lexikon "Die deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts"
- Gemeindeverwaltung Königsfeld Schwarzwald; - Standesamt Bern (Schweiz)
- G. Ebell im "Jahrbuch der Raabe-Gesellschaft 1985"
- "Literarische Silhouetten" Voss/Volger 1909
- W. Kosch "Deutsches Literatur-Lexikon", 1993
- Schriftliche Auskünfte von Elisabeth Christoph, Königsfeld (ehem. Freundin)
- Schriftliche Auskünfte von Pfarrer A. Stammler, Gnadau bei Magdeburg
- Standesamt Freiburg/Brsg. (Bestätigung des Geburtsdatums, da in versch. Quellen oft falsch angegeben)
Hinweise
- "Emmendinger Heimatkalender" 1953, Seiten 31, 43 und 46 f.
- "Emmendinger Heimatkalender" 1956, Seite 27
- "Emmendinger Chronik" 1998, Seiten 24 ff.
Werke von Marie Schloß (soweit bekannt)
- Gedichtbändchen "Im Vorübergehen", Privatdruck ca. 1899; "Altmodische Geschichten", Druck- u. Verlagsges. Emmendingen 1904/1905, Wilhelm Raabe gewidmet
- "In der Sommerfrische, oder ein kleiner Irrtum", Lustspiel 1905
- "Kleine Bilder", Bad. Verlagsdruckerei 1908
- "Prinzessin" (sozialer Roman), 1. Aufl. Konstanz 1911, 2. Aufl. Karlsruhe
- "Das Hütekinderwesen im badischen Schwarzwald", München 1911
- "Die Herrnhuter Kolonie Königsfeld im badischen Schwarzwald", Karlsruhe, o. Dat.
- "Italien und wir! - eine aktuelle Studie", 1915
- "Friedensgedanken in Kriegszeiten, Ausblicke und Aufgabe der Frauen", Heidelberg 1915
- "Der Nachkömmling vom Kellerhof", Karlsruhe 1917
- Vom Leben und Sterben. Von Alten und Jungen. Der Kleinen Bilder", Du Mont Schauberg, Straßburg, 1914 und 1917
- "Hinter der Kirche und andere Geschichten", Karlsruhe 1921
- "Der Herr Medikus und andere Geschichten", Karlsruhe 1921, -dem Maler Hans Thoma gewidmet- (in diese Auflage wurden die "Altmodischen Geschichten" integriert, jedoch ohne die in der Auflage 1904/05 enthaltenen Zeichnungen mit Motiven aus dem alten Emmendingen
- Ungezählte und teilw. verschollene Artikel in versch. Zeitungen z. B. "Wenn wir das Frauenstimmrecht hätten", oder "Bei Meister Thoma, dem Menschen"
Werke von Sohn Fritz Schloß (soweit bekannt)
- "Legenden. Alte Erzählungen in der Dichtung unserer Zeit", 2 Bände, 1921
- "Totentanz. Einfalt immer wiederkehrend. Spiel" 1922
- sowie verschiedene Übersetzungen und Herausgabe von althochdeutscher und mittelhochdeutscher Literatur.
Erstmals veröffentlicht im HachbergMosaik, Ausgabe Nr. 8, November 2019